Marienverehrung im Alltag

Überlegen und Nachdenken


Aus unserem Alltag sind uns Situationen bekannt, in denen die Handlungen der Menschen als "gedankenlos" oder "unüberlegt" bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um Entscheidungen und Taten, die voreilig, unvorbereitet, hektisch oder sogar verantwortungslos getroffen bzw. gesetzt wurden. Wird man später mit den Nachteilen solcher Entscheidungen und Taten konfrontiert, so fängt man spätestens dann an zu überlegen und nachzudenken, wie die Vorbereitungsschritte darauf damals hätten aussehen sollen. Andererseits müssen wir aber auch jene Entscheidungen und Taten würdigen können, die nach den notwendigen Überlegungen und Nachdenkprozessen erzielt wurden. In der Natur des Menschen liegt die - im Vergleich mit den anderen irdischen Lebewesen vielleicht exklusive - Fähigkeit, Sachen zu reflektieren und darüber nachzudenken. Es ist allerdings auch bekannt, dass der Mensch sich oft weigert von dieser einzigartigen Fähigkeit Gebrauch zu machen, nicht zuletzt, weil sie uns viel Zeit und Energie abverlangt. Ob so oder anders, der Mensch ist gefordert seiner Beschaffenheit als denkendes Wesen gerecht zu werden.

In der christlichen Tradition gibt es eine Reihe von Persönlichkeiten, die sich durch ihr denkendes Dasein ausgezeichnet haben. Für uns, die wir die Mutter Jesu verehren, kann die denkoffene Lebenshaltung Mariens zum täglichen Ansporn werden. In den wenigen Sätzen, die in der Heiligen Schrift über Maria gesagt werden, fehlt nicht der Hinweis, dass sie sich immer wieder die notwendige Zeit zum Überlegen und Nachdenken zu nehmen pflegte. Deutlich wird es vor allem dann, wenn sie eine Entscheidung treffen muss, deren Auswirkungen über ihren Privatbereich hinausgehen. In diesem Sinne erwähnt das Evangelium den Moment der Verkündigung, bei der sich Maria auf die Suche nach dem Sinn der Grußworte des Engels begibt (vgl. Lk 1,29). Es ist zuerst wichtig für sie selbst den Inhalt der Grußworte zu erfassen. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass ein missverstandener Gruß die weitere Kommunikation zwischen den betroffenen Personen verhindern kann. So z.B. wenn der Botschaftsinhalt mit der Wortwahl, dem Ton der Stimme und den Körpergesten nicht übereinstimmt, wird leicht einer Fehlinterpretation Raum geboten. Dann kann plötzlich eine höfliche Anrede als bloße Schmeichelei verstanden und ein ehrlicher Ausdruck der Wertschätzung für verschleierte Ironie gehalten werden. Bei der Verkündigung ortet der Bote Gottes die Verunsicherung, die durch seinen Gruß in Maria geweckt wurde. Daher erklärt er näher, worum es eigentlich geht. Und Maria nimmt diese Verständnishilfe an und führt den Dialog mit dem Engel weiter. Sie gibt uns hiermit ein Beispiel, wie man entsprechende Verständnishilfen von den anderen Menschen akzeptieren und in den eigenen Wissensstand integrieren soll.

Ein anderer Satz des Lukasevangeliums bezeugt, wie Maria das Geschehene in ihrem Herzen bewahrt und darüber nachdenkt (Lk 2,19). Hier zeigt uns Maria, wie man mit den erlebten Lebensereignissen umgehen soll. Alles, was wir erlebt haben, wird ein Teil von uns und verdient es, dass wir es in unserem Herzen bewahren und darüber nachdenken. Das Nachdenken hat dabei eine ordnende Funktion, indem ich dem Erlebten einen Platz, eine Bedeutung und einen Sinn für mein weiteres Leben zuordne. Es entspricht jedenfalls nicht einem ziellosen Grübeln. Für Maria war das Nachdenken über das, was geschehen war, wichtig für die Weiterentfaltung ihres Glaubens, vor allem im Hinblick auf ihre Begleitfunktion im Leben Jesu. Und diese Weiterentfaltung führte sie soweit, dass sie durch ihre Mutterrolle hinaus zur Jüngerin Jesu, dann zur Mitarbeiterin der Apostel, bis zur einer der Tragsäulen der urchristlichen Gemeinde herangewachsen ist. Im übertragenen Sinne könnte für uns diese Weiterentfaltung bedeuten, dass wir, ähnlich wie Maria, nicht in unserer einzigen Lebensrolle ewig verschlossen bleiben, sondern durch sie in eine nächste Form der Nachfolge Christi hinaus wachsen; mit anderen Worten: Aus unserem Privatbereich hinausgehen und uns in die Vielfalt der kirchlichen und gesellschaftlichen Hilfswerke einreihen.

fr. Fero M. Bachorík OSM